Teil 1 unserer Serie zum Thema Innovation: Was und wozu?

Innovationen sichern Zukunftsfähigkeit der »Buch«-Branche

Mit diesem Artikel starten wir eine kleine Serie zum Theme Innovation aus der Feder von Hermann Eckel. Denn nach unserer Einschätzung sind Innovationen zentral für die Zukunftsfähigkeit unserer Branche. Zum Start erläutert Hermann ein paar Grundlagen, damit alle wissen, was gemeint ist, wenn es mal wieder heißt: »Wir brauchen mehr Innovationen«.

Was bedeutet überhaupt »Innovation«?

Hermann Eckel

Mit dem Begriff »Innovation« verhält es sich wie mit »Agilität«, »Digitalisierung« oder »Nachhaltigkeit«: Er ist zwar in aller Munde, wird aber mit ganz unterschiedlichen Ansichten und Vorstellungen verbunden. Die einen betonen unermüdlich die Bedeutung von Innovationen und fördern sie nach Kräften. Die anderen dagegen winken ab, denn der Begriff sei völlig überstrapaziert und überhaupt viel zu schwammig – und schieben mit diesem Hinweis die Notwendigkeit von Innovation als solcher ganz elegant zur Seite.

Worum geht es also, wenn wir von »Innovation« sprechen? Die meisten Menschen denken da sicher zuerst an bahnbrechend neue Ideen à la iPhone, Facebook & Co, die das Zeug haben, bestehende Industrien umzukrempeln oder komplett neue Märkte zu schaffen. Stichwort: »schöpferische Zerstörung«. Analog dazu träumen Start-ups davon, »the next Uber« mit einem millionenfachen Kundenstamm zu werden – was natürlich nur den allerwenigsten gelingt. Das wiederum wird von den Innovationsskeptikern als weiterer Beleg für ihre ablehnende Haltung gesehen: »Alles viel zu riskant!«

Unterscheidung von Innovationen erster und zweiter Ordnung
Zunächst einmal bedeutet Innovation jedoch schlicht die »Einführung von Neuerungen« und kann sich in ganz unterschiedlichen Dimensionen abspielen. Im Change Management ist die Unterscheidung von Veränderungen erster und zweiter Ordnung gebräuchlich. Analog dazu lässt sich auch von Innovationen erster und zweiter Ordnung sprechen: Wahrhaft disruptive neue Produkte oder Geschäftsmodelle wie das iPhone, mit dem Potential, ganze Wertschöpfungsketten grundlegend zu verändern oder völlig neue Kundengruppen zu erschließen, sind demnach Innovationen zweiter Ordnung. Dem stehen weniger tiefgreifende Produkt- und Prozessinnovationen innerhalb bestehender Strukturen gegenüber, die keine revolutionäre Weltneuheit bedeuten und anderswo vielleicht bereits etabliert sind, aber für das jeweilige Unternehmen oder eine Branche doch eine echte Neuerung darstellen.

Umwälzende Innovationen zweiter Ordnung im Buchmarkt wurden in den letzten Jahren meist von neuen Playern entwickelt, allen voran Amazon (Onlinehandel, E-Book-Reader, Selfpublishing u.a.) oder Boxine mit den überaus erfolgreichen Tonies. Folgerichtig ziehen etablierte Branchengrößen ihre Innovationskraft eher aus der Übernahme diverser Start-ups, schön zu beobachten etwa bei Thalia (buch.de, textunes, Skoobe u.a.) oder der Holtzbrinck Publishing Group (Amboss, epubli, lecturio, Digital-Science-Bereich u.a.).

Produkt- und Prozessinnovationen erster Ordnung hingegen sind in unserer Branche durchaus in großer Breite zu erleben:

  • Viele Verlage haben ihre Lektorats- und Herstellungsprozesse auf crossmediales Publizieren umgestellt
  • E-Book- und digitale Audiobook-Ausgaben, aber auch App- und Datenbank-Angebote sind längst Standard
  • Im Vergleich zu anderen Branchen sind Omnichannel-Strategien im Buchhandel schon sehr ausgereift
  • Leser*innen können sich auf diversen Lese-Community-Plattformen wie Lovelybooks über Neuheiten und Lieblingsbücher austauschen
  • Vor allem im Fachverlags- und Audiobookbereich haben sich digitale Abo-Modelle durchgesetzt
  • Individualisierte (Koch-)Bücher sind keine Seltenheit mehr
  • Regelmäßig bringen Kinderbuchverlage neuartige Produkte hervor – vom reißfesten Papier bis zum Tip Toi.

Eine unabhängige Buchhandlung, die als eine der ersten den Mut hat, in eine Social-Media-Marketing-Managerin zu investieren und schräge Tik-Tok-Videos zu produzieren, ist in diesem Sinne genauso innovativ wie der Kleinverlag, der seine Prozesse bereits mithilfe generativer KI-Tools »von der Stange« automatisiert hat – während die meisten anderen sich noch den Kopf über Chancen und Risiken solcher Tools zerbrechen.

Innovative Evolution von Fach- und Bildungsverlagen
Dies gilt erst recht für die zahlreichen Bildungs- und Fachverlage, die sich zu E-Learning- bzw. Fachinformationsanbietern mit vielfältigen (digitalen) Dienstleistungen weiterentwickelt haben. Haufes Wandel vom Fachverlag zum Software-Haus und zur Bildungsakademie und schließlich zum »Corporate-Services-Lösungsanbieter« sticht dabei sicher heraus und hat Maßstäbe gesetzt. Aber in Sachen innovativer Weiterentwicklung und – auch namentlicher – Neudefinition ließen sich viele weitere Fachverlage aufführen, wie etwa der seit Kurzem als »DIN Media« firmierende Beuth-Verlag. Und schließlich wären noch die Zwischenbuchhandels- und andere Dienstleistungsunternehmen zu nennen, die schon seit langem als Innovationstreiber der Branche fungieren.

Radikale Innovationen finden außerhalb der Branche statt
Andererseits kann man sich schon fragen, warum etwa die marktführenden Apps zum Megatrend Achtsamkeit (Calm, Headspace, 7mind usw.) nicht von entsprechenden Ratgeberverlagen entwickelt wurden. Warum ist die mit fast 100 Millionen Nutzern weltweit größte Social-Reading-Plattform Wattpad ebenfalls außerhalb der Branche entstanden? Warum vermarkten Fachverlage, die maßgebliche Veröffentlichungen zur neuen Arbeitswelt herausgeben, die jeweiligen Autor*innen nicht gleich mit und bieten einen 360°-Ansatz mit Literatur, Webinaren, Beratung, Train-the-Trainer-Konzepten, Materialien für die Workshop-Leitung, Apps zur Weiterentwicklung von Mitarbeiter*innen u.v.a.m. aus einer Hand? Und warum wurden nicht schon längst im großen Maßstab Buchhandlungen zu Lernorten und Community-Treffs umgewandelt – eine Richtung, die öffentliche Bibliotheken besonders in Skandinavien vielfach einschlagen?

Kurz: Für die Zukunftsfähigkeit der »Buch«-Branche wäre es dringend notwendig, dass noch viel mehr Verlage und Buchhandlungen viel schneller und konsequenter innovative Entwicklungen aufgreifen oder gar selbst umwälzende neue Ideen hervorbringen. Wobei es sicher Erfolg versprechender ist, lieber kleine Schritte auf dem Weg zum innovativen Unternehmen zu gehen, als vom »next big thing« zu träumen.

Hinweis: Dieser Text erschien zuerst in leicht abgewandelter Form als erster Teil von Hermanns Innovations-Kolumne im Börsenblatt, der Fachzeitschrift für Buchhandel und Verlage des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V.

Ja, wir wollen uns über Unterstützungsmöglichkeiten informieren, um Prozess- oder Produktinnovationen systematischer und kreativer zu entwickeln und umzusetzen!

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