Bei KI-Projekten geht es zu 20% um Technologie und zu 80% um Menschen

Die Implementierung von generativen KI-Tools hat weitreichende Folgen für Arbeitsprozesse, Aufgabenverteilungen und ganze Organisationsstrukturen hat. Deshalb sind KI-Projekte keine reinen IT-Projekte, sondern auch Change-Projekte, bei denen die Mitarbeitenden im Fokus stehen sollten, sagt Hermann Eckel in diesem Interview.

Hermann Eckel

Immer mehr Mitarbeitende in Verlagen nutzen KI-Tools. Nach Deiner Wahrnehmung sind aber Verlage immer noch zurückhaltend. Was ist die Ursache dafür?
Zunächst muss man sagen, dass das Bild auch auf Seiten der Mitarbeitenden nicht so eindeutig ist. Im Gegenteil: Nach meiner Erfahrung geht in vielen Unternehmen nur eine Minderheit ganz unbefangen an das Thema heran und probiert einfach mal aus, wie KI-Tools ihnen im Arbeitsalltag helfen kann. Die Mehrheit dagegen wird durch Ängste und Bedenken gebremst, die um drei Hauptthemen kreisen: Datenschutzbedenken, urheberrechtliche Fragen und Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Auf Unternehmensebene mangelt es meist an dynamischen Fähigkeiten, d.h. viele Verlage sind nicht in der Lage, Ressourcen und Kompetenzen kontinuierlich anzupassen oder neu zu integrieren, um auf Veränderungen schnell und flexibel zu reagieren.

 

Wie finde ich die Balance zwischen „Ausprobieren“ und dem Wunsch nach dem Big Bang, also der produktiven Integration in Kernprozesse?
Das Revolutionäre an generativen KI-Tools wie ChatGPT ist ja, dass ein „Ausprobieren“ überhaupt möglich ist, und zwar für alle Mitarbeitenden und lange, bevor auch nur eine einzige wegweisende Systementscheidung gefallen ist! Üblicherweise funktioniert es genau umgekehrt: Eine kleine Projektgruppe sichtet mögliche Software-Lösungen und entscheidet sich für ein bestimmtes System. Das wird dann implementiert, und danach gibt es erst Mitarbeiterschulungen. Die niedrigschwelligen KI-Chatbots dagegen können grundsätzlich von allen sofort genutzt werden, auch ohne Schulung. Insofern würde ich empfehlen, zuerst Mitarbeitende mit KI-Tools „herumspielen“ zu lassen, allein schon, um durch Gewöhnung Vorbehalte abzubauen. Die produktive Integration sollte dabei natürlich nicht aus dem Auge gelassen werden. Denn wirklich spannend wird es erst, wenn ich ganze Prozessketten mithilfe von KI beschleunige und automatisiere, etwa indem ich Bestellinformationen aus unstrukturierten Kunden-Emails herauslese und diese dann über eine Schnittstelle in meine Warenwirtschaft überführe, wo die Bestellung automatisch verarbeitet wird. Aber das kommt eben erst im nächsten Schritt.

Die niedrigschwelligen KI-Chatbots können von allen sofort genutzt werden, auch ohne Schulung. Insofern würde ich empfehlen, zuerst Mitarbeitende mit KI-Tools „herumspielen“ zu lassen, allein schon, um durch Gewöhnung Vorbehalte abzubauen.

Wie sollte ich als Verlag das Thema angehen?
Das einzige, was noch vor dem „Ausprobieren“ geschehen sollte, ist eine KI-Leitlinie zu formulieren, um z.B. sicherzustellen, dass nur bestimmte KI-Tools genutzt werden, in denen man einstellen kann, dass eigene Daten nicht zu Trainingszwecken genutzt werden. Das lässt sich sehr schnell umsetzen. Danach geht es in der oben skizzierten Reihenfolge weiter: Erst mal mit KI-Tools „herumspielen“, dann den systemischen, konzertierten Einsatz planen und umsetzen. Diese Abfolge ist dabei auch deshalb wichtig, weil alle Beteiligten erst mal eine Vorstellung davon bekommen müssen, was denn alles mit generativer KI möglich ist. Erst dann können sie sinnvolle Lösungen z.B. für die KI-gestützte Bearbeitung langweiliger oder aufwändiger Prozesse entwickeln. Hinsichtlich möglicher Lösungen sollte man sich die Frage stellen, welches aktuell die heftigsten Pain Points, die größten Zeitfresser sind: Crossmediale Produktionsprozesse mit vielen Medienbrüchen und manuellen Bearbeitungsschritten? Verschlagwortung von Manuskripten und backlist-Titeln? Alternativtexte für Bilder, um sie barrierefrei zugänglich zu machen? Social-Media-Marketing-Prozesse? Unstrukturierte Anfragen im Kundenservice? Lösungen sollten dann entsprechend der bekannten Effort-Impact-Matrix priorisiert und umgesetzt werden. An diesem Punkt geht es dann auch um Systementscheidungen.

Was bedeutet das für den „Human in the Loop“-Ansatz? Wie bleiben die Mitarbeitenden im Driver Seat?
Auch mit Blick auf KI gilt: „A fool with a tool is still a fool.“ Ins Positive gewendet bedeutet das, dass man fundierte Fachkenntnisse benötigt, um mit generativen KI-Tools vernünftige Ergebnisse zu erzielen. Das beginnt schon beim Prompten und geht bis zum Überprüfen der generierten Texte, Bilder, Präsentationen oder was auch immer. Diese Fachkompetenz unterscheidet hochwertigen Verlagscontent von massenhaft automatisch generierten und völlig generischen Erzeugnissen. Aber neben der vorhandenen Fachkompetenz ist eben auch eine neue KI-Kompetenz nötig, weshalb entsprechende Schulungen der Mitarbeitenden so wichtig sind. Nur so bleiben sie wirklich im Driver Seat.

Dein Vortrag auf dem CrossMediaForum lautet „Künstliche Intelligenz braucht kulturelle Intelligenz“. Was wird die Kernbotschaft sein?
Da die Implementierung von generativen KI-Tools weitreichende Folgen für Arbeitsprozesse, Aufgabenverteilungen und ganze Organisationsstrukturen hat, sind KI-Projekte keine reinen IT-Projekte, sondern letztlich Change-Projekte. Daher geht es bei KI-Projekten nur zu 20% um Technologie und zu 80% um Menschen.

Hermann Eckel ist Referent auf dem CrossMediaForum KI-Spezial, das am 5.12.2024 als Digitalevent durchgeführt wird.

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