Interview mit Anja Michelberger und Halil Recber

„Wir generieren mehr als 15 % unseres Umsatzes mit KI-gesteuerten Aktionen“

Spitta versteht sich als „marktführender Anbieter für zahnmedizinische und zahntechnische Fachmedien, Organisationsmittel, neue Medien (Online-Portale, Apps, E-Books), Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen (Seminare, Fernlehrgänge, Webinare) sowie Software-Lösungen.“ Bereits 2019 startete das Unternehmen erste Experimente mit KI-Tools. Heute werden mehr als 15% des Umsatzes durch KI-gesteuerte Aktionen erwirtschaftet. Der Fokus liegt dabei auf den Bereichen Marketing und Vertrieb, zukünftig sollen neue Einsatzfelder von Data Science und KI auch in weitere Bereichen erprobt werden, erläutern Geschäftsführer Halil Recber und Anja Michelberger, Leitung Marketing & Sales Support, im folgenden Interview.

Spitta setzt 2021 KI in Marketing und Sales ein. Was war das Motiv für den Einsatz?
Spitta hat bereits im Jahr 2019 erste Experimente mit Data Science getätigt. Zu Beginn lag der Fokus auf verhaltensbasierten und datengesteuerten Aktionen mit Scoring-Modellen im Vertrieb. Zielsetzung war mit einer Vorhersage des Verbrauchs- und Bestellverhalten von Kunden und selektiven Marketing- und Vertriebsaktivitäten einen höheren Output (Bestellabschlüsse) zu erreichen. Grundsätzlich geht es uns beim Einsatz von prediktiver KI im Marketing und Vertrieb darum, den für ein Produkt relevantesten Kunden, zur besten Zeit und mit dem geeignetsten Marketinginstrument anzusprechen und damit effizienter und effektiver Umsatzpotenziale auszuschöpfen.

Wie ist Spitta in das Thema eingestiegen? Was waren die ersten Schritte?
Von Beginn an haben wir das Thema Data Science & KI nach der Lean Startup Methode (iterativ, schnell, ressourcenfreundlich) und mit agilen Entwicklungsmethoden vorangetrieben. Wir arbeiten keine großen Konzepte oder Strategien in diesem Feld aus. Wir konzentrierten uns auf die „kleinen“ Ideen und Einsatzmöglichkeiten mit großem Potenzial, welche mit möglichst wenig Aufwand schnell umgesetzt werden können. Die Umsetzung muss zunächst nicht perfekt sein, denn während der Testphase können zügig Erkenntnisse und Ergebnisse ausgewertet und nachjustiert werden. Mit diesem Ansatz haben wir experimentiert und datenbasierten Aktionen und KI-Modelle gegen bestehende Verfahren in Split-Runs getestet. Wenn das neue Modell deutlich bessere Ergebnisse lieferte, wurde es als neues Standardverfahren eingeführt und anschließend automatisiert. Nach ersten größeren Erfolgen haben wir eine Stelle geschaffen, zunächst in Teilzeit, und die Aktivitäten systematisch ausgebaut.

„Es war für uns deutlich zielführender, viele kleine und schnelle Schritte zu gehen und möglichst viel zu testen.“

Und was waren die bisherigen Learnings?
Mit dem Einsatz von Data Science und KI-Modellen konnten wir im Marketing tiefere Analysen von Kundendaten und detailliertere Kundenprofile erstellen. Dies bewirkt eine gezieltere Kundenansprache, höhere Bestellquoten, stärkere Kundenbindung und einen effizienteren Einsatz von Adresspotenzialen. Damit verbunden sind auch weniger Penetrationen gegenüber dem Kunden und geringere Kosten für Marketingaktionen mit gleichbleibenden oder höheren Bestellquoten. KI-Modelle helfen Kundenpräferenzen und Verhaltensweisen besser zu verstehen und ermöglichen dadurch ein gezielteres Ausrichten der Vertriebsaktivitäten und Marketingkampagnen. Ein weiteres Learning ist vor allem, dass es nicht darum geht, den Einsatz von KI als ein großes und langwieriges Projekt anzusehen. Es war für uns deutlich zielführender, viele kleine und schnelle Schritte zu gehen und möglichst viel zu testen.

Welche Erfahrungen konnten Sie vor allem in Bezug auf Umsatz und Effizienz mit dem KI-Einsatz machen?
Die ersten Erfahrungen konnten wir 2020 mit der Einführung von transaktionsbasierten Selektionen in dem Organisationsmittel-Portfolio im Telemarketing sammeln. Wir konnten die Bestellquoten im Vergleich zur klassischen Selektion verdoppeln. Im zweiten Schritt entwickelten wir 2021 ein Scoring Modell für die anderen Portfolien (klassische Fachmedien) über den Kanal Direktmarketing. Auch hier liegen die KPIs deutlich über der klassischen Vorgehensweise.

Im Jahr 2022 haben wir erstmals Machine Learning (künstliche Intelligenz) bei der Selektion von Kampagnen-Adressen eingesetzt. Die historischen Transaktionsdaten der Kunden wurden hier mit Zusatzdaten (Geschäftsmodell, Produktkategorien etc.) sowie Merkmalen (Umsatz, Gutschriftenquote, Anzahl Bestellungen etc.) versehen. Das Modell erlernte das Bestellverhalten der Kunden und berechnete Prognosen für die Bestellwahrscheinlichkeit bei einer Werbeaktion. Dies ist mittlerweile unser Standardverfahren in Telefonmarketingaktionen für den Bereich Fachinformation und erzielt im Durchschnitt Bestellquoten, die gegenüber Random-Selektionen zwei bis drei Mal höher liegen.

Im Jahr 2023 haben wir ein weiteres KI-Modell erfolgreich eingeführt. Das Modell prognostiziert Bestellwahrscheinlichkeiten pro Kunden für einen bestimmten Zeitraum. Diese Kunden werden jede Woche nach absteigender Bestellwahrscheinlichkeit im Telefonmarketing angegangen. Auch hier konnten die Bestellquote um mehr als 40 % gesteigert werden. Nach einer erfolgreichen Testphase wurde dieses Verfahren als Standardverfahren eingeführt und vollständig automatisiert. Wir generieren mittlerweile mehr als 15 % unseres Gesamtumsatzes mit KI-gesteuerten Aktionen und die Marketing- und Vertriebskostenanteile am Umsatz sind in den letzten Jahren deutlich gesunken sind.

„Wir setzen nicht nur bestehende KI-Tools ein, sondern entwickeln selbst Modelle und Lösungen.“

In welchen weiteren Verlagsbereichen außerhalb von Marketing und Sales wollen Sie KI-Tools einsetzen?
Wir stehen aktuell an einem sehr spannenden und wichtigen Punkt. Wir haben mit den bereits erfolgreich eingeführten KI-Modellen im Vertrieb und Marketing die Kompetenz-Basis geschaffen, um jetzt den nächsten Schritt zu gehen und KI im Unternehmen breiter einzusetzen. Dafür haben wir uns personell verstärkt und konzentrieren uns zunehmend auf den Einsatz von generativer KI. Das heißt wir werden in Zukunft Data-Science und KI-Modelle in Online-Lösungen, Produkten, Services, Online-Shops sowie in Prozessen, der Software- und Webentwicklung und Redaktion einsetzen. Wir steigern damit nicht nur die Produktivität, sondern erschließen weitere Umsatzpotenziale und schaffen Mehrwerte für Kunden. Dabei setzen wir nicht nur bestehende KI-Tools ein, sondern entwickeln selbst Modelle und Lösungen.

Wie läuft die Umsetzung der KI-Einsatzes konkret? Beschäftigen Sie Dienstleister, oder entwickeln Sie selbst?
Seit 2020 beschäftigen wir eine Mitarbeiterin, welche für den Einsatz von Data Science und KI eingestellt wurde und sich darauf spezialisiert hat. Dieser Mitarbeiterin haben wir eine Agentur mit KI-Experten zur Seite gestellt, welche Sie bei Bedarf konsultieren kann. Im Oktober 2023 haben wir einen Webentwickler eingestellt, welcher auch explizit nur für die technische Umsetzung von KI-Lösungen eingesetzt wird. Übrigens, Anfang des Jahres haben wir einen eigenen KI-Server in Betrieb genommen, um keine Daten außer Haus zu geben und Prozesse zu automatisieren.

„KI bietet viele Chancen für das Unternehmen, die Produkte, Lösungen, Prozesse als auch für jeden einzelnen Mitarbeiter.“

Wie wirkt sich der KI-Einsatz auf die Organisation, die Abläufe, aber auch auf die Mitarbeiter aus?
Der Einsatz von KI wirkt sich positiv auf die Organisation und die Abläufe aus. Wir konnten mittlerweile durch viele KI-Aktivitäten die Bestellquoten deutlich steigern und Marketing- und Vertriebskosten senken. Auch intern haben wir bereits einige Aufgaben, welche mit manuellem Aufwand verbunden sind, automatisiert. Das entlastet Mitarbeiter und bietet Ihnen die Möglichkeit, neue und attraktivere Aufgaben anzugehen.  Natürlich muss man beachten, dass der Einsatz von KI bei den Mitarbeitern auch Ängste auslösen kann. Hier gilt es als Unternehmen vor allem die Mitarbeiter abzuholen und aktiv einzubinden. KI bietet viele Chancen für das Unternehmen, die Produkte, Lösungen, Prozesse als auch für jeden einzelnen Mitarbeiter.

Was sind die größten Effekte bisher und welche Entwicklungsperspektiven sehen Sie?
Die größten Effekte konnten wir bisher in höheren Bestellquoten, geringeren Stornoquoten und niedrigeren Marketing- und Vertriebskosten erzielen. Wir möchten uns in Zukunft auf neue Einsatzfelder von Data Science und KI außerhalb vom Marketing und Vertrieb mit generativer KI fokussieren.

Das Interview führte Ehrhardt Heinold.

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