Verlage können Lernmedien mit Hilfe von KI-Tools immer einfacher erstellen. Allerdings sollte auch dabei der Kundenfokus im Mittelpunkt stehen, zudem müssen die Mitarbeitenden auf die neuen Aufgaben vorbereitet werden, erläutert Michaela Wied in folgendem Interview.
Die Erstellung von Inhalten für Lernmedien war für Verlage immer sehr aufwendig. Wie weit ist der Weg von einem Fachbuch zu einem Web-based Training (WBT)?
Aus meinen 11 Jahren, die ich als Innovationsmanagerin in Verlagen tätig war, stellt sich mir die Situation wie folgt dar: Die Erstellung von hochwertigen Inhalten ist für Verlage immer aufwendig. Was ist also der Unterschied zwischen einem Fachbuch und einem WBT hinsichtlich des Aufwands? Eigentlich doch keiner – es bedarf nur eines zielgruppengerechten Umdenkens bei der Erstellung, Aufbereitung und Darbietung. Nicht mehr der Sender/die Senderin (sprich der:die Autor:in) trägt ihr Wissen zu einem Thema zusammen, sondern das Thema muss nun so dargestellt werden, dass der/die Lesende bzw. Lernende es bestmöglich aufnehmen kann.
Würde ein:e Autor:in beim Verfassen der Inhalte dies von vornherein berücksichtigen, wäre der Aufwand gar nicht so groß:
- Es gäbe viel weniger Text zu schreiben In einem WBT muss die Inhaltsdichte viel pointierter sein als es Leser:innen in einem Fachbuch ertragen – und ich behaupte auch wünschen, sonst hätten Dienste wie Getabstract und Blinkist nicht so großen Erfolg.
- Es gäbe Interaktionselemente, die es heutzutage z.B. in Form von Verständnisfragen am Ende eines Buchkapitels ja hier und da bereits gibt. Die digitalen Möglichkeiten bieten aber doch so viel mehr als Single-/Multiple-Choice, nämlich z.B. Zuordnungsfragen, Bilderrätsel etc. – Dinge, die sich im Print schwieriger darstellen lassen.
- Einige Inhalte würden nicht in Schriftform dargestellt, sondern optisch/auditiv aufbereitet – als Bilder, Videosequenzen, Audiobeiträge – das kennen und können wir doch auch alles, nur eben nicht in einem Buch.
Das Konzept „Inhalte bedarfsgerecht erstellen“ müsste m.E. also nur konsequenter in Programmen auf- und umgesetzt werden sowie erweitert. Das ist eine Aufgabe nicht nur für die Autor:innen, sondern insbesondere für die Programmplaner:innen und Lektor:innen. Die Denke: „Wir machen ein Buch und verwerten es nachher noch als E-Learning“ ist der Aufwandstreiber, nicht die Erstellung der Lernmedien an sich.
Welche Rolle spielt die Unterstützung durch KI bei der Erstellung von WBTs? Welche Eindrücke von der Learntec nimmst Du hier mit, wo gibt es innovative Ansätze?
Ganz neu – dem Hype um ChatGPT folgend – ist es mittlerweile möglich, ohne selbst produzierte Inhalte ein WBT zu befüllen. Entsprechend der Prompts, die eingegeben werden, liefert ChatGPT (oder ein anderer Dienst) dann die Inhalte. Wie wir aber alle bereits wissen, müssen erstens KI-generierte Inhalte sorgfältigst auf Richtigkeit geprüft werden. Und – zweitens – was uns die KI noch immer nicht abnimmt, ist, Inhalte zu produzieren, die jenseits von dem liegen, was die Welt schon kennt. Und hier kommt die Stärke der Verlage zum Tragen, die mit den Autor:innen die Expert:innen an der Hand haben, dieses neue Wissen zu generieren und zu kommunizieren.
Darüber hinaus arbeiten die Software-Anbieter an vielen Verbesserungen bzgl. der Content-Aufbereitung. Hat man Inhalte in einer bestimmten Struktur – und mit Struktur meine ich hier zum einen Hierarchieebenen und zum anderen die „Art der Aufbereitung“ – gibt es heutzutage kleine Helferlein, die die Erstellung z.B. von WBTs oder Bewegtbild erleichtern.
Der Textimport wird immer besser: Texte werden mittlerweile nicht mehr nur eingelesen, sondern auch automatisiert auf Seiten verteilt, die in Kapiteln zusammengefasst dargestellt werden entsprechend der gelieferten Hierarchien. Dafür brauchen die Systeme gar nicht mehr unbedingt XML. Eine Analyse der Inhalte mittels einer KI erfasst die Texte semantisch und ordnet die Inhalte entsprechend an. Beispiele, die ich hier nennen kann, sind die Software „knowtion“ von Youknow und „IBT LCM“ von time4you.
Einen anderen Ansatz verfolgt SlidePresenter mit einem PowerPoint-Upload, der aus dem hochgeladenen Foliensatz automatisiert ein Trainingsvideo erstellt.
Wer keine Bilddatenbank angeschlossen hat, integriert Bildgenerierungssoftware auf KI-Basis. Auch dadurch wird die Erstellung von Materialien einfacher und schneller.
Bzgl. Audio ist die Produktionsgeschwindigkeit und -qualität mittlerweile so gut geworden, dass viele synthetischen Stimmen kaum mehr zu unterscheiden sind von echten Sprecher:innen. Text-to-Speech (TTS) als unterstützende Produktionsvariante kann ich daher nur wärmsten empfehlen.
Viele Tools unterstützen die Produktion mehrsprachiger Varianten.
Auch das KI-gesteuerte Erstellen von Quizzen wird immer besser: Schön ist, wenn einem die Arbeit abgenommen wird, ein Fragenset zu erstellen auf Basis der Inhalte eines E-Learnings – noch besser, wenn die KI gleich auch richtige und falsche Antwortoptionen mitliefert und die Begründungen formuliert, warum eine Antwort richtig bzw. falsch ist. Insbesondere plausible Negativantworten, die die Lernenden fordern, sind gar nicht so einfach zu erstellen. Ein Highlight ist für mich die neue Funktion von SlidePresenter, die die Quizze nun auch auf Basis von Video-Content erstellen kann. Aber auch hier gilt: Fachlich versierte Personen müssen gegenprüfen, ob das, was erstellt wurde, auch stimmt.
Was ist Deine Empfehlung für Verlage, die ins Thema E-Learning einsteigen wollen? Welche Themen sollten sie unbedingt berücksichtigen?
Wichtig ist, sich im Vorfeld das Produkt zu überlegen: Für wen soll Nutzen gestiftet werden? Ist das E-Learning eine Zweitverwertung, eine Erweiterung eines bestehenden Produkts oder ist es ein originäres, eigenständiges Angebot? Welches Format soll es sein? Synchron, Asynchron, Präsenz, Remote, Blended? Welche Lernziele sollen erreicht werden? Wie soll der Content aufbereitet werden? Wie soll das E-Learning zum Lernenden gelangen? Wer betreut die Inhaltserstellung? Wer koordiniert das Projekt bzw. das Produkt? Und so weiter …
Besonderes Augenmerk verlangt die Distribution: „Irgendwie“ müssen Veranstaltungen und Kurse ja zu den Lernenden kommen: Braucht man neben einem Autorentool also auch gleich ein Learning Management System (LMS)? Baut man also eine Akademie auf? Da wird der Einstieg dann gleich ein etwas größeres Projekt. Aber mit z.B. einem einzelnen WBT oder Webinar ist ja auch nichts gewonnen. Kostengünstig kleine Testballons starten und diese dann sukzessive ausbauen zu einem größeren Angebot wäre für Verlage das wirtschaftlich weniger risikoreiche Szenario. Leider fehlt diesen Ansätzen häufig die Brillanz. Nicht nur das Angebot an sich (z.B. ein WBT) muss zielgruppenorientiert sein, sondern auch der Kauf einfach, die UX eingängig etc. Das gelingt oft nicht bei kleinen Lösungen. Ein „Minimal Viable Product“ (MVP), das jedoch mit Zugangshürden und Bedienschwierigkeiten daherkommt, ist kein MVP, das uns wirklich gut Auskunft geben kann über etwaige Erfolgschancen einer größer angelegten Lösung.
Ebenso gehört es zu einem holistischen unternehmerischen Ansatz, die Organisation auf das neue Produkt/die neue Produktreihe vorzubereiten, d.h. Mitarbeitende zu befähigen, E-Learnings zu erstellen, zu verkaufen, im Service zu betreuen etc. Das können diese nicht „einfach so“ – woher auch? Dafür braucht es einen Change Management- und Transformationsansatz, der bei der Projektplanung miteinbezogen werden muss. Wer ganz groß denken will und sich für den Aufbau einer Akademie entschieden hat, kann dann auch noch einen Schritt weiter gehen und eine Skilltaxonomie unter die Inhalte legen samt adaptiver Lernpfade, mittels derer Kund:innen schnell zu den Inhalten finden, die sie lernen sollten, um Lücken zu schließen oder sich weiterzuentwickeln und das in einem individuell auf sie zugeschnittenen Maße. Vorbilder, die man sich in diesem Zusammenhang anschauen sollte, sind Area9, Skillsoft und Peers. Das ist das Lernen der Zukunft!