Experimente mit GenAI enden oft im Frust. Weshalb eine kognitive KI zur Prozessautomatisierung der Hebel für Digitaliserungserolge in Verlagen ist, erläutert Martin Reinheimer in diesem Interview.
Was ist der Unterschied zwischen „kognitiver KI“ und „GenAI“?

Martin Reinheimer
Wenn man den Bereich der künstlichen Intelligenz kategorisieren möchte, gibt es verschiedene Klassifikationen. Aus Anwendungssicht passt für mich am besten die Teilung in generative, kognitive und prädikative KI. Generative KI – oder kurz „GenAI“ – umfasst alles, wo Content generiert wird; das können Texte sein, aber auch Bilder oder Videos. Kognitive KI simuliert menschliche Fähigkeiten wie Verstehen, Schlussfolgern und Handeln. Prädikative KI kalkuliert Wahrscheinlichkeiten für Ereignisse, Zustände oder Werte. Gemeinsam haben alle KI-Modelle unabhängig von ihrer Klassifikation, dass Sie mit Hilfe großer Datenmengen trainiert werden. Die kognitive KI aber ist diejenige, die einhergeht mit dem Thema Prozessautomatisierung – und das ist vermutlich die wichtigste Zutat, um Digitalisierungserfolge in Unternehmen zu erzielen.
Du stellst in Deiner Vortragsbeschreibung fest „Es ist auffallend, wie die Diskussion über KI im Publishing direkt auf GenAI-Anwendungsfälle überspringt, während die praktischen, wirkungsvollen Möglichkeiten übersehen werden“. Welche Möglichkeiten sind das?
Wenn man einen Publishing-Experten nach dem Nutzen künstlicher Intelligenz fragt, diskutiert man schnell im eingeschränkten Bereich der generativen KI. Zum einen, weil Menschen leicht durch Visuelles zu begeistern sind, zum anderen, weil sich die wichtigsten Werkzeuge und Vorgehensweisen der Publisher disruptiv verändern, beispielsweise die Bildretusche in Adobe Photoshop. Während in der Mediengestaltung bis vor kurzem noch Stunden auf eine Retusche verwendet wurden, ist die gleiche Aufgabe heute oft mit einem Prompt zu bewältigen. Aber das Ganze hat seine Tücken, vor allem in der Reproduzierbarkeit der Ergebnisse. Es braucht Zeit und viele Tests, um den Mehrwert für den Produktivbetrieb sicherzustellen.
Schaut man sich dagegen Publishing-Prozesse und deren Datenflüsse an, sind viele davon stark standardisiert und folgen einer stringenten Logik. Viele der Aufgaben sind monoton und repetitiv. Hier kann kognitive KI ansetzen, um diese Prozesse zu automatisieren; sie ist also eine Möglichkeit, wie man iterativ und schnell einen produktiven Mehrwert erzielt.
Als Toolkonzept empfiehlst Du eine „no-code-basierte Lösung aus der Gattung der Robotic Process Automation (RPA)“. Was genau ist damit gemeint?
Robotic Process Automation ist keine neue Disziplin. Man nutzt dabei Software, um Aufgaben am Bildschirm auszuführen bzw. zu automatisieren. Die Software simuliert kognitive Fähigkeiten des Menschen, kann also Dinge am Bildschirm wahrnehmen, erkennen und dann regelbasiert Entscheidungen treffen und handeln. Eine neue Dynamik hat das Thema mit kognitiver KI bekommen, weil die Mustererkennung durch einen dramatischen Datenwachstum in KI-Modellen viel besser geworden ist. Und genau die Kombination, also die imperative Vorgehensweise einer RPA-Lösung, bei der ich die Kontrolle über den Prozess behalte, zusammen mit den deklarativen Prinzipien aus dem Bereich der Computer Vision, schafft sehr effiziente Tools.
Mit der letzten KI-Welle wurden auch sogenannte lowCode- oder noCode-Lösungen en vogue. Sie entstanden als Teil der Bewegung zur Demokratisierung von Technologie – also der Idee, dass auch Menschen ohne tiefes IT-Wissen Anwendungen erstellen oder Prozesse automatisieren können. Die Unterscheidung zwischen lowCode und noCode definiert dabei nur den Grad der IT-Kenntnisse, die der Anwender mitbringen muss: noCode-Lösungen benötigen gar keine Programmierkenntnisse, für die Nutzung von lowCode-Lösungen benötige ich Grundkenntnisse.
Was sind die größten Effekte beim Einsatz dieser Technologie?
Durch den Einsatz einer solchen Lösung habe ich mehrere Verbesserungen: Mit einer noCode-Lösung befähige ich Mitarbeitende, die bereits das detaillierte Wissen um Ihre Prozesse haben, diese selbstständig zu automatisieren. Als Unternehmen beziehe ich diese Mitarbeitenden überaus werthaltig in meinen Digitalisierungsprozess ein, da sie sich zu sogenannten Citizen Developers, also Software-Entwickelnden ohne Programmierkenntnisse, weiterbilden.
Man empowert die eigene Belegschaft und schafft eine Lösung für die Problematik des Fachkräftemangels. Der andere Effekt ist direkt auf die Prozessautomatisierung bezogen: In jedem Projekt versucht man, die Balance zwischen vorhandenem Budget, der aufgewandten Zeit zur Umsetzung und der Qualität des Ergebnisses zu halten. Durch Automatisierung verbessere ich alle Dimensionen: Ich habe Kosteneinsparungen durch eine Automatisierung, die automatisierte Prozessausführung verläuft immer schneller als die manuelle und die Qualität meiner Ergebnisse bleibt verlässlich.
Was muss ein Verlag tun, um dieses Konzept erfolgreich umzusetzen?
Eigentlich gibt es nur eine Voraussetzung: Ich muss meine Prozesse kennen. Allein damit ist es möglich, zu bewerten, in welchen Prozessen oder Prozessteilen der größte Hebel für eine Automatisierung liegt. Eine bewährte Methodik dafür ist das Process Mining, wo ich die Aufwände zur wiederholten Ausführung eines Prozesses ermittle und den Aufwänden für eine Automatisierung dieses Prozesses gegenüberstelle. Sobald ich weiß, welche Prozesse ich automatisieren möchte, kann ich die Mitarbeitenden, die das Prozesswissen haben, schulen. Mit einer noCode-Lösung gelingt das innerhalb weniger Tage. Verläuft ein Proof-of-Concept erfolgreich, können weitere Prozesse in der gleichen Abteilung automatisiert werden oder man sucht im Verlag weitere Bereiche, die von der Automatisierung profitieren können. Das Beste daran ist, dass ich nicht nur bei den Produktionsprozessen ansetzen kann, sondern ebenso begleitende Abteilungen wie Finance oder HR profitieren können.
Dein Vortrag auf dem CrossMediaForum heißt „Beyond GenAI: Prozessautomatisierung im Publishing mit kognitiver KI“. Was wird die Kernbotschaft sein?
Es gibt im Publishing so viele gute Leute, die eine außerordentliche Expertise in der Medienproduktion haben, aber keine IT-Profis sind. Experimente mit GenAI enden oft im Frust, weil man nicht das gewünschte Ergebnis erzielt. Wenn man aber genau diesen Menschen eine kognitive KI zur Prozessautomatisierung an die Hand gibt, erkennen viele erst das Potential der KI für sich und das Unternehmen.
Martin Reinheimer ist Inhaber der proCress IT-Consulting und Referent beim 27. CrossMediaForum KI-Spezial am 27.11.2025.